Die junge Familie in Fürstenberg

 

 

 

 

 

Als im Mai 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, wurde Fürstenberg (Havel) mit der Besetzung durch die Sowjetunion zur Garnisonsstadt und oblag damit einem besonderen Status. Zugleich etablierte sich am Röblinsee auch der Generalstab der 2. Garde-Panzerarmee (Großverband der Roten Armee bzw. Sowjetarmee), der dort bis zum Ende der Besatzungszeit im Oktober 1993 verblieb. Wir wohnten in der Bahnhofsstraße, und ich erinnere mich noch an das Klappern des Geschirrs im Schrank, wenn am Tag, und oft auch in der Nacht, die Panzer über die Straßen rollten. Im Rathaus war die russische Kommandantur untergebracht. Ich sehe in Gedanken noch die Posten, die mit ihren aufgepflanzten Bajonetten Tag und Nacht davorstanden. Überhaupt waren die Besatzer in der ganzen Stadt allgegenwärtig, da sie überall Areale besetzten und begannen, sich für lange Zeit einzurichten. Die alteingesessenen Fürstenberger Bürger wurden aus ihren Wohnungen vertrieben. Auch die Heimatvertriebenen aus Ostpreußen und Schlesien strandeten hier, und so wurde die Wohnungsnot immer größer. Mit den geschätzten 30.000 Mann Besatzung, die nun die Stadt zusätzlich bevölkerten, kann man sich die katastrophalen Zustände gut vorstellen. Die Wegweiser innerhalb Fürstenbergs waren nun sowohl in deutscher als auch in kyrillischer Schrift angebracht. Das alles gab uns das Gefühl, in einer sowjetischen Teilprovinz zu leben.

 

 

 

Die Diktatur der Nazis war beendet, die kommunistische Diktatur begann. Die Siegermächte, Großbritannien, USA, die Sowjetunion und Frankreich, verhandelten schon während des Krieges über eine Aufteilung Deutschlands. Eine Ausnahme bildete Berlin, das von allen vier Ländern besetzt wurde. Geplant war hier ein alliierter Kontrollrat, der über die einzelne Demilitarisierung der Zonen hinaus kooperieren würde. Schon bald zeigten sich aber gerade zwischen den USA und der UdSSR große Differenzen. Der Osten Berlins wurde abgeriegelt und geriet bald unter die alleinige Führung der Sowjetunion. Dieser Alleingang führte in den kalten Krieg mit den USA, der erst mit der Auflösung der DDR 1989 und der Öffnung Osteuropas ein Ende fand. Die sowjetische Besatzungsmacht bildete eine eigene Wirtschaftskommission und vereinigte die Bereiche Industrie, Finanzen, Verkehr, Handel und Versorgung, Arbeit und Sozialfürsorge, Land- und Forstwirtschaft, Brennstoffindustrie und Energie, Interzonen- und Außenhandel in eine Zentralverwaltung.  Die westalliierten Streitmächte strebten einen separaten westdeutschen Staat an, worauf die Sowjetunion am 20. März 1948  ihren Ausstieg aus dem Kontrollrat vollzog.

 

 

 

Am 20. Juni 1948 machte die Einführung einer westdeutschen Währung die Teilung vollständig, und wenige Tage später hatte auch der Osten des Landes seine eigene Währungsreform. Die Hoffnung, ganz Berlin in die ostdeutsche Zone zu holen, scheiterte jedoch. Über elf Monate lang versorgten die Westalliierten die Stadt über eine Luftbrücke mit Nahrungsmitteln, bis die Sowjetunion die Blockade der Stadt aufgab. Berlin blieb geteilt. Wieder einmal traf es Hunderttausende Menschen, die fortan nur mit viel Mühen ihre Freunde und Verwandte innerhalb der Stadt besuchen konnten. Ostberlin hatte eine Grenze. Am 7. Oktober 1949 schließlich wurde der neue Staat aus der Taufe gehoben. Die Deutsche Demokratische Republik war gegründet. Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis im August 1961 die Mauer gebaut wurde und Berlin, für alle Welt sichtbar, eine geteilte Stadt war.

 

 

 

Die Zeiten hatten sich in vielerlei Hinsicht geändert, auch in der Firma Grahl . Mein Vater war seit 1940 im Unternehmen und hatte, nachdem er wieder in Fürstenberg war, dort von 1946 bis 1949 als Leiter der Maßabteilung gearbeitet. Zu seinen Aufgaben gehörte die Überwachung der Produktion sowie die Betreuung der Kunden im Ressort Herrenoberbekleidung, Kostüme und Damenmäntel.

 

 

 

Ende September 1949 wurde ihm gekündigt. Die Firma konzentrierte sich neu auf ihr Kerngeschäft, der Herstellung von Damenkleidern, das gegenüber dem der der anderen Sparten eine deutliche Umsatzsteigerung verzeichnete. So wurde die Maßabteilung aufgelöst und Vater musste gehen. Er war niemand, konnte niemand sein, der den Dingen allzu lange nachtrauerte. Zu oft musste er sein Leben immer wieder neu erfinden, immer wieder etwas Neues beginnen und aufbauen. Vater wusste, es konnte keine endgültige Sicherheit im Leben geben. Schon im Oktober 1949 bestätigte die Handwerkskammer des Landes Brandenburg den Eintrag eines Herrenschneiderbetriebes. Meine Eltern hatten einen eigenen Laden eröffnet. Für Vater war es zum zweiten Mal der Weg in die Selbstständigkeit.