Island

Die Zeit ist ein flüchtiges Wesen, und spielt mir, wieder in Wuppertal, noch manchen Streich. Wenn ich am Morgen aufwache, ist es noch so, als wäre ich gar nicht zu Hause. Ich bin aber auch nicht in Island. Ich bin unterwegs. Vielleicht noch über den Wolken? Irgendwo im Nirgendwo stecke ich fest, und das ist ein merkwürdiges Gefühl. Kann es sein, dass die Seele länger für den Rückweg braucht als einen Flug von dreieinhalb Stunden? Und kann man das nur mit den tiefen Eindrücken erklären, die ich in den vergangenen Tagen gesammelt habe? Es ist, denke ich, noch etwas anderes. Vielleicht eine Mischung aus wundersamen Tagen und dem Gefühl, dass diese Landschaft in ihrer starken und stillen Präsenz redet und mich noch immer festhält oder ruft. Irgendwo zwischen den Welten und zwischen den Ländern zieht und lockt und ruft.

 

Island

Unter den Sternen des nördlichen Polarkreises wollten wir den Tanz der Geister, das Nordlicht, sehen. Um es gleich vorweg zu sagen, wir haben es nicht gesehen, doch das Land hat uns andere wunderbare Schätze gezeigt und uns von manchen Geheimnissen leise flüsternd erzählt.

Wenn man Island zum ersten Mal besucht, mag es an einen Mondausflug erinnern. Die karge Landschaft, in der nur wenige Bäume wachsen, die unzähligen Vulkane  und die steinigen mit Moos bewachsenen Hochebenen, geben das Bild einer unwirtlichen und rauen Landschaft wieder. Und doch zieht uns die Insel in ihren Bann, umgarnt und verzaubert uns, wie es selten ein Land zuvor getan hat. Alles ist da. "Gott ruhte sich aus von seinem Werk" geht es mir durch den Sinn. Ich komme mir vor, als wäre ich einer der ersten Menschen die, soeben erschaffen, staunend die ersten Schritte durch diese neue und junge Welt gehen. Es ist eine Zeitreise zum Ursprung der Erde. Gäbe es hierzu eine Uhr, würde sie vielleicht den siebten Schöpfungstag anzeigen. Nein, wir sind nicht alleine auf der Insel. Und doch ist der einzelne Mensch in dieser Landschaft nicht präsent.

Hier ist die Natur die uneingeschränkte Herrscherin.

Da sind die schneebedeckten Vulkane, die tiefblauen Seen und Flüsse, auf denen große Eisschollen treiben. Schneegänse fliegen auf, als wir mit dem Auto an einem der wenigen Wiesen vorbeifahren. Auf dem vom Winter ausgetrockneten gelben Feld hätten wir sie fast übersehen. Schwarzer Lavastrand erwartet uns in Vik, dem, laut Reiseführer, schönsten Strand der Welt. Im Meer sehen wir versteinerte Trolle, die, als sie gerade ein Schiff an Land ziehen wollten, von den ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages getroffen wurden und sich so in große Felsen verwandelten.

Island, Land aus Feuer und Eis. Es war, als ob wir für kurze Zeit in den Anfang der Welt schauen durften.

Gaya und Uranus, die Erde und der Himmel, hatten einander freigegeben und alles war vollkommen und gut.